DIE KLEINE RUNDE

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Von Danzig in die Karpaten - unterwegs auf der “Green Velo”

Die letzten Kilometer an der Ostsee, und dann wie weiter?

Um von Danzig aus weiter in Richtung Osten zu fahren, hatten wir uns Polens bekannteste Radwanderroute, die “Green Velo”, ausgesucht. Diese beginnt in Elbląg, und bis dorthin folgten wir noch der EuroVelo 10/13 entlang der Ostseeküste, von welcher wir uns bald verabschieden mussten. An der Mündung der Weichsel standen wir mal wieder (langsam ein running gag…) vor einer inoperablen Fähre, weshalb ein Umweg über die nächstgelegene Brücke notwendig wurde. Kurz vor Elbląg beginnt die Woiwodschaft Ermland-Masuren (warmińsko-mazurskie) und in der Stadt liegt auch der nördliche Ausgangspunkt der Green Velo. Hinter Elbląg ging es in eine hügelige und bewaldete Moränenlandschaft hinein - nicht sonderlich anstrengend, aber nach der brettflachen Ostseeküste wieder mal etwas anderes. Derweil beschlichen uns in der schönen Landschaft aber Zweifel, ob wir in die “richtige” Richtung fahren. Unser Plan lautete ja ursprünglich, über das Baltikum nach Moskau und dann weiter über Zentralasien und die Mongolei nach China zu fahren. Von der Bereisung Russlands hatten wir uns gedanklich bereits verabschiedet. Da nun nach aktueller Nachrichtenlage aber auch zu bezweifeln ist, dass China noch in diesem Jahr seine Einreisevorschriften für Touristen lockern werden würde, wird es zunehmend “enger”. Was nun? Wollen wir doch noch die „Notbremse“ ziehen und anders herum um die Welt fahren? Man könnte erst durch die Masuren nach Suwałki und dann nach Klaipėda in Litauen, um von dort aus nach Schweden und von dort aus über Göteborg nach Dänemark und dann weiter über den Atlantik nach Nordamerika zu reisen. Oder man fährt sogar nach Danzig zurück, um gleich nach Schweden aufzubrechen? Wir beschließen, darüber nachzudenken. Wenig später in der kleinen Stadt Frombork, der Wirkungs- und Grabesstätte von niemand geringerem als Nikolaus Kopernikus, beschließen wir abends, der Green Velo zunächst weiter in Richtung Osten und dann entlang der polnischen Ostgrenze nach Süden zu folgen, um mittelfristig über die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien in die Türkei und von dort weiter nach Südasien zu reisen. Aktuell ist Asien durch die Dreierkette Russland - China - Myanmar realistischerweise für uns undurchdringbar - uns bleibt daher nun nichts anderes übrig als zu hoffen, dass eines dieser drei Länder im Laufe des Jahres für uns wieder offen sein wird. Bis dies für uns akut wird, liegen aber erst einmal viele andere Länder und tausende Kilometer vor uns, weshalb uns am nächsten Tag wieder die positiven Gedanken und die Vorfreude packen. Und irgendwie machen ja auch genau diese Planänderungen das eigentliche Abenteuer erst aus! Auf mal mehr und mal weniger gut befahrbaren Wegen und Straßen führt uns die Green Velo ans Dreiländereck Polen-Litauen-Russland, wo wir einen halben Tag zusammen mit Ramona, einer Reiseradlerin aus Deutschland, die zur Eishockey-WM in Helsinki radelt, unterwegs sind. Am Dreiländereck können wir kurz nach Russland schauen. Aber nicht anfassen. Und nicht einmal fotografieren (den Wald dort), weil auch streng verboten. Das sagt irgendwie viel über die aktuelle Situation aus… Nach einem Ruhetag im berüchtigten “Suwałki-Korridor” geht es dann für uns also nach Süden weiter. Eine “kleine Umleitung” von der ursprünglich geplanten Route wird notwendig, vielleicht bis Thailand. Schauen wir mal…

Durch dichte Wälder und weite Sümpfe

Beim Dreiländereck haben wir die Woiwodschaft Podlachien (podlaskie) erreicht, welche für ihre Nationalparks bekannt ist. Bis Augustów geht es oft durch schöne, dichte Wälder und natürlich vorbei am bekannten Augustów-Kanal, der mehrere Seen miteinander verbindet, deren Ufer sehr gut als Pausenplatz verwendet werden können. Ein Highlight hinter Goniądz ist die “Zarenstraße” (Carska Droga), welche dutzende Kilometer durch naturbelassenen Wald führt, in welchem sogar Elche angetroffen werden können (wir hatten dieses Glück jedoch nicht). Bis Białystok zeigt sich die Green Velo von ihrer besten Seite! In Białystok schauen wir uns die Feierlichkeiten zum Tag der Verfassung vom 3. Mai 1791 an - einer der ältesten modernen Verfassungen der westlichen Welt. Östlich von Białystok führte uns die Green Velo durch kulturell wie landschaftlich sehr interessantes Terrain. Hier fuhren wir durch den Siedlungsraum der belarussischen Minderheit in Polen, was sich in den Dörfern durch die typischen Holzhäuser und zahlreichen orthodoxen Kirchen bemerkbar macht (sehenswert: die Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit in Hajnówka, welche in moderner Betonbauweise ausgeführt ist). Der Kontrast zum restlichen Nordosten Polens innerhalb weniger Fahrradetappen war recht überraschend (für historisch interessierte: hier liegt ein kleiner Teil Polens östlich der sogenannten Curzon-Linie von 1919). Das Leben hier nimmt seinen geregelten Lauf, aber natürlich ist die Situation seit der Migrationskrise im letzten Jahr angespannt. Die nun noch dazugekommene Furcht vor einer Eskalation des Konflikts mit Russland macht die Lage dann auch nicht notwendigerweise einfacher. Ein polnischer Radfahrer klärte uns darüber auf, dass die im letzten Jahr eingerichteten grenznahen Sperrzonen durchaus mit dem Verlauf der Green Velo kollidieren können. Nicht im Sperrgebiet lag zum Glück die Durchfahrt durch den westlichen Teil des Białowieża-Urwaldes, einem der letzten “echten” Urwälder Europas! Die weltweit größte Wisentpopulation lebt in diesem Gebiet, aber wie schon bei den Elchen kam uns auch hier leider keines der Tiere in freier Wildbahn vor die Linse (das Foto unten wurde in einem Wildtiergehege aufgenommen).

Nicht entlang des Bugs, aber dann hinaus aus der Tiefebene

Angekommen in Mielnik am Bug, welcher hier noch nicht Grenzfluss zwischen Polen und Belarus ist, wurden wir von unserem Gastgeber Markus erneut davor gewarnt, dass uns auf der anderen Seite des Flusses das Sperrgebiet “erwischen” würde, wenn wir der Green Velo in Flussnähe folgen würden. Wir mussten daher, nun in der Woidwodschaft Lublin angekommen, uns auf kleineren Landstraßen weiter im Landesinneren nach Süden vortasten, immer auf der Karte kontrollierend, bloß nicht zu dicht an den Bug heranzukommen. In Małaszewicze wurden wir sehr freundlich von Grzegorz und seiner Frau Ela, (Warmshowers Host) beides auch begeisterte Radreisende, bei ihnen zu Hause aufgenommen! Die Unterhaltungen mit den beiden waren sehr interessant und aufschlussreich. So haben wir erfahren, dass in Ostpolen Radfahren immer noch oft als Zeichen von Armut angesehen wird, gerade auch bei jüngeren Menschen. Das deckt sich mit unseren Beobachtungen, dass in den ländlichen Gebieten selbst bei vorhandener Radinfrastruktur diese kaum genutzt wird. Ein ziemlich deutlicher Unterschied zu Tschechien, wo schon im März radfahrende Leute eigentlich häufig anzutreffen waren. Vielleicht ändert sich dies hier ja irgendwann ein wenig, denn die Voraussetzungen dafür sind ja da. Südlich von Włodawa konnten wir dann wieder der Green Velo folgen, da das Grenzgebiet zur Ukraine kein Sperrgebiet ist. Bei Chełm wird das Wetter zum ersten mal auf dieser Reise richtig sommerlich. Den Aufenthalt in der Stadt nutzten wir vor allem zur Entspannung und ich holte mir angesichts der Temperaturen gleich einen kürzeren Haarschnitt. Südlich von Chełm war die Landschaft sehr zersiedelt: obwohl die Bevölkerungsdichte eigentlich nicht sonderlich hoch ist, ging es gefühlt für etwa 80 km durch ein einziges langes Dorf mit kurzen Unterbrechungen. Das Gegenteil dazu war dann die wunderschöne Durchfahrt durch den Höhenzug Roztocze zwischen Szczebrzeszyn (na, wer kann das stolperfrei aussprechen?) und Horyniec-Zdrój: durch eine bewaldete sanfte Hügellandschaft ging es hier auf sehr guten Wegen zügig voran, eine echte Wohltat! Und hier waren dann (an einem Sonntag) tatsächlich auch gar nicht mal so wenige Leute zum Radausflug unterwegs. In Horyniec-Zdrój stellte sich richtige Urlaubsstimmung ein: ein Volksfest, viele Ausflügler, warmes Wetter, gutes Essen - und das etwa 60 km Luftlinie von Lwiw entfernt, in dessen Nähe am Morgen des gleichen Tages Raketen eingeschlagen waren. Wahnsinn… Durch ausgedehnte Wälder ging es nahe der Grenze zur Ukraine weiter nach Przemyśl, wo für uns die Durchfahrt durch die Karpaten begann. Entlang des Flusses San ging es auf wunderschönen Straßen nach Sanok, wo wir von unserem Warmshowers Host Tomasz herzlich aufgenommen wurden. Und was für eine leckere Suppe! Am nächsten Tag begleitete uns Tomasz noch ein Stück auf dem Rad - vielen Dank für die Gastfreundschaft und die wertvollen Tipps! Bald erreichten wir den Laborecký-Pass, wo wir den Karpatenhauptkamm und die Grenze zur Slowakei erreichten und damit unsere Zeit in Polen endete - 5 Wochen, 5 Tage, 2300 km. Schön war es!

Einiges zur Green Velo

Die Green Velo ist eine im Norden und Osten von Polen verlaufende Radwanderroute, welche im Vergleich zu anderen Radrouten unserer Wahrnehmung nach deutlich sichtbarer beworben wird. Die Qualität der Wege variiert durchaus stark (Stand Frühling 2022), was insbesondere für beladene Fahrräder relevant ist:

Elbląg - Braniewo: anfangs gute Waldwege, dann oftmals lockerer Sand oder holprige Plattenwege, ab und zu gut befahrbare Straßen.

Braniewo - Górowo Iławeckie: gut befahrbar, ab und zu Sandwege, ansonsten aber schöne Landstraßen.

Górowo Iławeckie - Bartoszyce: nicht empfehlenswert - oft schlechte bis sehr schlechte Wald- und Plattenwege, die Betonsechsecke des Speichentodes, dazu nimmt die Route zwischen diesen beiden Städten einen großen Umweg. Andere Reiseradler haben daher die direkte Abkürzung über die Landstraße genommen, welche sicherlich auch für uns besser gewesen wäre.

Bartoszyce - Węgorzewo: ausgezeichnet - entweder sehr gute Landstraßen oder sogar eigene asphaltierte Radwege.

Węgorzewo - Suwałki: meistens unbefestigte Wege, welche teilweise gut befahrbar sind, stellenweise aber auch aus lockerem Sand bestehen.

Suwałki - Białystok: bis Augustów ab und zu lockerer, schwer zu fahrender Sand, dann aber fast ausschließlich sehr gute Straßen oder eigene Radwege.

Białystok - Hajnówka: sehr guter, Abschnitt, meistens ashaltiert, Sandpisten in gutem Zustand - einer der landschaftlich schönsten Abschnitte!

Hajnówka - Mielnik: weitgehend gut befahrbare asphaltierte Landstraßen oder Forstwege, jedoch mit einer nennenswerten Ausnahme: zwischen Nurczyk und Nurzec-Stacja wartete auf uns eine “Wellblechpiste” aus Sand. Folter für Mensch und Material.

Mielnik - Włodawa: Achtung: aktuell (Stand Mai 2022) verläuft die Hauptroute der Green Velo in der Woidwodschaft Lublin zwischen Gnojno bis einschließlich Włodawa fast ausschließlich durch ein 2021 neu eingerichtetes Sperrgebiet nahe der Grenze zu Belarus! Wir mussten in diesem Bereich daher auf eine selbstgesteckte Route über kleinere Landstraßen im Hinterland ausweichen, da das Betreten des Sperrgebiets für ortsfremde Personen verboten ist.

Włodawa - Horyniec-Zdrój: fast immer sehr gut befahrbar und fast immer asphaltiert! Die Durchfahrt durch den Höhenzug Roztocze zwischen Szczebrzeszyn (heißt wirklich so…) und Horyniec-Zdrój ist ein radfahrerisches Highlight!

Horyniec-Zdrój - Przemyśl: sehr schöner Abschnitt, selten lockerer Sand, meistens gute bis sehr gute Straßen!

Von der Green Velo in die Slowakei: Ab Przemyśl, genauer ab Olszany, sind wir dann immer am Ufer des Flusses San geblieben (gute, ruhige Straßen) und haben bei Siedliska die Green Velo endgültig in Richtung Süden verlassen. Ab Sanok folgten wir der Route R 63 (Zagórz - Morochów - Komańcza - Radoszyce) auf den Laborecký-Pass (686 m) zur slowakischen Grenze. Die Straßen auf dem Pass haben nur milde Steigungen und waren an einem Werktag nur mäßig befahren. Das letzte Stück ab Radoszyce bis zur Passhöhe hatten wir die Straße fast für uns alleine.

Die Green Velo ist durchgängig einheitlich beschildert, allerdings fehlen an einigen Abzweigungen durchaus notwendige Schilder, weshalb die zusätzliche Navigation mit (digitalem) Kartenmaterial empfehlenswert ist. Zum Thema Hunde: Im völligen Gegensatz zur Radroute an der Ostseeküste gibt es an der Green Velo oft freilaufende Hofhunde, welche Radfahrer kaum oder gar nicht gewohnt sind und entsprechend aufgeregt reagieren können. Bei der Durchfahrt durch die zahlreichen kleinen Dörfer und Höfe sollte daher immer damit gerechnet werden.

Zu Unterkünften: Das finden einer Unterkunft kann in einigen Teilen der Green Velo schwierig werden, aber man kann darum bitten, das Zelt in einem Garten oder Hof aufstellen zu dürfen. Die Campingplätze sind leider nahezu ausnahmslos fast das ganze Jahr geschlossen, weshalb sie für Radreisende eher nutzlos sind (der Sinn der polnischen Campingplätze erschließt sich uns nicht ganz - selbst auf Island (!) haben Campingplätze eine längere Saison…). Letztendlich war es mit ein wenig Herumfragen aber immer möglich, eine Unterkunft zu finden, denn Polens Osten ist zwar ländlicher als der westliche Teil, aber immer noch erheblich dichter besiedelt als z.B. Skandinavien. Agrotouristika und einfache Pensionen/Hotels sind gut und günstig, genauso wie das Essen! Nicht zuletzt sei auf die Warmshowers-Community verwiesen, welche auch in Polen aktiv ist! Wildzelten ist in Polen leider verboten. Einige Personen im Internet behaupten, dass das Gesetz nur auf dem Papier existieren würde. Da die Green Velo jedoch oft grenznah verläuft, haben wir in den Wäldern viele uniformierte Menschen getroffen (Militär, Grenzpolizei, reguläre Polizei). Wer es riskieren möchte, sollte daher besser genügend Polnischkenntnisse haben, um mit den Offiziellen verhandeln zu können. Wir haben es daher gar nicht erst versucht.