Von Bordeaux nach Berlin - die “kleine Runde” ist vollendet
Von Bordeaux nach Paris: nass und kalt bis zum Eiffelturm
Nachdem ich in den letzten zwei Jahren fast unverschämt viel Glück mit dem Wetter hatte, stellte ich mir im Januar schon vor, wie ich über dieses Glück schreiben würde. Da wusste ich noch nicht, wie der März sein würde. Bordeaux verabschiedete mich mit Regen, der mich mehr oder weniger bis nach Deutschland begleiten würde. Die Mittagspausen in Cafés uferten daher manchmal bis zu einer Dauer von fünf Stunden aus, wenn es vor der Tür doch zu unbequem war. Irgendwann erreichte ich aber einfach einen Punkt, an welchem mir die omnipräsente Nässe egal wurde. Zelt nass, Matte nass, Schlafsack (etwas) nass, Klamotten nass, Fahrrad nass, Handy nass, Kamera nass, Laptop nass (hat aber alles überlebt). Garniert wurde das ganze dann noch mit ordentlicher Kälte am Morgen, die auch mal die Zeltstangen zusammenfrieren ließ. Die Regenpausen waren dann aber umso schöner und die Hügel, Felder, Wälder und Dörfer um mich herum zeigten sich von ihrer besten Seite. Meine eigentlich geplante Route war an einigen Stellen durch Hochwasser überschwemmt, aber die Umfahrungen über Landstraßen waren nie ein Problem. Bei Angoulême überquerte ich dann den Greenwich-Meridian und erreichte damit wieder die östliche Halbkugel! Ich habe auf der Westhalbkugel etwa 9.000 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt, was letztendlich nur etwa 25 % der Gesamtkilometer entsprach – der allergrößte Teil des Pazifiks und der komplette Flug über den Atlantik lagen halt auf westlichen Halbkugel und die östliche Hälfte beinhaltet deutlich mehr Land. In Châtellerault traf ich den Reiseradler Jean-Luc aus Paris. Wir teilten auf dem Campingplatz unsere Lebensmittelvorräte. Er setzte seine Route entland der EuroVelo 3 fort, während ich durch das Tal des Flusses Loir eine etwas direktere Route in Richtung Paris einschlug. In diesem Flusstal war ich auch recht gut gegen den Gegenwind abgeschirmt. Beeindruckende Bauwerke entlang meiner Strecke waren das gewaltige Schloss von Châteaudun und die Kathedrale von Chartres mit ihren herausragenden kobaltblauen Fensters. Dann erreichte ich Paris, wo ich in den folgenden zwei Tagen dem Eiffelturm, dem Spiegelsaal im Schloss Versailles und der Mona Lisa im Louvre einen Besuch abstattete. (Es war mein erster Aufenthalt in Paris überhaupt - man möge mir daher verzeihen, dass ich mich ausschließlich mit den offensichtlichsten Attraktionen befasst habe.)
Von Paris nach Brügge: ans Meer und zur Frituur
Im Zentrum von Paris radelte ich kurz auf der berühmten Champs-Élysées, wo jedes Jahr die letzte Etappe der Tour de France entschieden wird. Knapp 50 Kilometer später hatte ich die Stadt und ihre Vororte auch wieder verlassen. Der Regen begleitete mich bis in den äußersten Norden Frankreichs. Die allermeisten Campingplätze waren noch geschlossen, weshalb ich mich ab und zu abends im Wald oder in Hostels verziehen musste. Ich erreichte bald die Küste des Ärmelkanals, wo ich auf die EuroVelo 4 traf. Durch eine recht dicht besiedelte Küstenregion kam ich auf guten Radwegen recht schnell voran. Der Rückenwind in diesen Tag leistete seinen Beitrag dazu. Das Wetter spielte wieder mit, weshalb ich von einem der Hügel westlich von Calais aus sogar bis nach England hinüber blicken konnte. Östlich von Dünkirchen erreichte ich dann Belgien. Ab nun war ich fast ausschließlich auf sehr guten Radwegen und Fahrradrouten unterwegs. Ich radelte durch brettflaches Land mit kleinen Kanälen, was mich unweigerlich an das nördliche Niedersachsen erinnerte. An einer Stelle döste eine Schafherde direkt auf und neben dem Radweg und ließ sich nicht von mir stören. Ich fuhr weiter nach Ostende am Strand. Die Uferpromenade wird dort durch eine endlose Reihe von hohen Hotels und Wohnhäusern dominiert, wo die Atlantikwallbunker zwischendrin mit reinpassen. Entlang eines Kanals radelte ich nach Brügge, wo ich bei Eline, einer Freundin von Jade, für zwei Tage unterkam. Vielen Dank für die Gastfreundschaft! Eline gab mir viele Tipps, was ich in Brügge anschauen kann. Brügge hat eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Stadtzentren Europas und ist daher einen Besuch wert! Hervorragende Schokolade gibt es dort übrigens auch. Belgien ist auch das Mutterland der Pommes frites (“fritjes”). Frittieren kann man aber nicht nur Kartoffeln: Eline und Shauni, eine ehemalige Mitbewohnerin von Jade, gingen mit mir abends in eine “Frituur”, wo es neben fritjes alles mögliche an frittiertem Zeugs mit verschiedenen Saucen gab - viel Energie für das letzte Kapitel dieser Reise!
Von Brügge nach Berlin: Endspurt
Gut gestärkt begann für mich der letzte Abschnitt. Meine Strecke führte mich zunächst auf tollen Radwegen entlang von Kanälen, Bahnstrecken und über Felder nach Antwerpen. Den Fluss Scheldt muss ich dabei mittels eines Fußgänger- und Radfahrertunnels unterqueren. Um dorthin zu gelangen, nehmen die meisten Leute ihr Fahrrad mit auf die Rolltreppen, welche hinunter zum Tunnel führen. Ich tat es ihnen gleich, was mit meinem voll beladenen Reiserad gar nicht mal so einfach war. Auf der anderen Seite stellte ich dann fest, dass es auch großzügige Aufzüge an beiden Enden gibt. Ich kam am nächsten Tag durch den Binnenhafen von Antwerpen. Recht viele, kleine Frachtschiffe schoben sich durch die Kanäle. In den Vororten Antwerpens sieht fast jedes Wohnhaus anders aus als die Nachbarhäuser. Marie hatte mir davon schon in Spanien erzählt und gesagt, dass dies ein recht deutlicher Unterschied Belgiens zu den Niederlanden ist, wo der Baustil innerhalb eines Viertels eher ähnlich ist. Und die Niederlande erreichte ich noch am gleichen Tag. Dort war es nun einfacher, geöffnete Campingplätze zu finden. Ich fuhr ein paar Tage durch das Marschland, welches knapp unter dem Meeresspiegel liegt. Später erreichte ich dann aber ausgedehnte Sandhügel, die mit Nadelwäldern und Wiesen bewachsen waren. Die Radwege führten dort sehr schön kurvig auf befestigtem Schotter durch diese hübsche Landschaft. Bei Havelte kam ich zudem an zwei Großsteingräbern vorbei, die etwa 5.000 Jahre alt sind. Meine letzte Station in den Niederlanden war Groningen, die Stadt, welche schon einmal als “Weltfahrradhauptstadt” bezeichnet wurde. Am nächsten Tag war es dann so weit: bei bewölktem, aber trockenen Wetter schob mich ein ordentlicher Schiebewind in Richtung Niedersachsen. Nach 712 Tagen der Abwesenheit rollte ich wieder nach Deutschland hinein! Erstaunlicherweise wirkte alles irgendwie sofort wieder vertraut. Die Sprache, die Schilder, die Läden, die Straßen - es wirkte auf mich eher so, als sei ich nicht zwei Jahre, sondern nur zwei Monate nicht dort gewesen. Da das Wetter aber nach wie vor nicht einladend war, verlor ich keine Zeit und fuhr recht direkt in Richtung Berlin. Östlich von Papenburg kam ich an Betriebsgeländen vorbei, wo heute noch Torf gestochen wird. Ich radelte durch Bremen, wo ich einmal drei Jahre lang gelebt habe. Zwei Tage vor dem Ende meiner zweijährigen Reise traf ich dann auf einem Campingplatz in Gartow Matt und Leona, ein neuseeländisch-norwegisches Reiseradlerpaar, welches sich gerade auf dem vierten Tag einer geplanten Radreise von Kiel nach Singapur befand - ich wünsche den beiden viel Erfolg! Für sie hatte das große Abenteuer gerade erst begonnen, für meines waren die Stunden gezählt. Ein sehr freundliches Lehrerpaar aus Rostock lud uns abends und morgens in ihren Campervan auf einen Kaffee und norwegische Snacks ein, weshalb wir der Kälte kurz entfliehen konnten. Bei Wittenberge überquerte ich die Elbe. Nun war es nicht mehr weit bis Berlin. Ich erreichte die Stadt über die bekannte Glienicker Brücke. Im Grunewald musste ich noch einige letzte Hügel bewältigen. Am Grunewaldturm sprach mich ein Berliner Autofahrer an, der mich heute bereits in Potsdam überholt hatte. Wir unterhielten uns kurz über meine Reise von Lissabon hierher. Es sollte das letzte Mal sein, dass ich mich während dieser Reise mit jemandem darüber austauschen würde. Dann bog ich auf die Heerstraße ein. Den Fernsehturm erkannte ich schnell, aber die Siegessäule versteckte sich noch eine Weile. Ich radelte und wartete gespannt. Dann war sie plötzlich da. Ich fuhr gespannt in ihre Richtung. Wie oft hatte ich exakt diesen Moment in den letzten zwei Jahren in meinen Gedanken durchgespielt. Nun wusste ich nicht so richtig, was ich fühlen sollte. Morgens überwog kurzzeitig etwas Traurigkeit darüber, dass es zu Ende geht. Nun wollte ich diese Säule endlich erreichen. Um 15:55 am 25. März 2024 war es dann geschafft. Ich berührte mit meinem Rad den Radweg um die Siegessäule, von Westen kommend. Vor zwei Jahren hatten wir exakt diesen Platz in Richtung Osten verlassen. Damit war die Welt nun umrundet. Die kleine Runde war jetzt wirklich eine Runde geworden. Ich radelte wie vor zwei Jahren einmal um die Siegessäule herum. Es war heute meistens bewölkt, aber in diesem Moment wurde die Viktoria von der Sonne angestrahlt und leuchtete mich golden an. Anschließend fuhr ich zum Brandenburger Tor. Vor dem Humboldtforum schenkte mir das Universum dann noch einen schönen, unerwarteten Gruß: dort ist eine Nachbildung eines der Tore vom buddhistischen Tempel in Sanchi errichtet. Das Original, welches mich sehr beeindruckt hatte, besuchte ich vor etwa einem Jahr selbst. Nächste Station war die Weltzeituhr am Alexanderplatz. Ich ging einmal um sie herum, um auf ihr die Namen von Städten zu finden, die ich im Laufe dieser Radreise erkundet hatte. Prag, Berlin, Belgrad, Sofia, Istanbul, Ankara, Tiflis, Eriwan, Nikosia, Tel Aviv, Jerusalem, Bangkok, Singapur, Jakarta, San Francisco, Los Angeles, New Orleans, Lissabon und Paris. Keine schlechte Ausbeute. An der Weltzeituhr endete meine Reise in Richtung Osten, die mein Lebensinhalt der letzten zwei Jahre war. Von hier aus begab ich mich etwas nach Südwesten zum Haus meiner Mutter in Kleinmachnow. Ich fuhr die letzten Kilometer der kleinen Runde. Der Sonnenuntergang tauchte den Ort in ein schönes Licht. Es war sehr ruhig, die Straßen waren fast leer. Nach 36.000 Kilometern auf dem Fahrrad war das große Abenteuer zu Ende gegangen. Was für zwei Jahre es waren. Für mich begann nun die Wiederansiedlung in Berlin. Bis zum Beginn meines Jobs ist aber noch etwas Zeit.
In den nächsten Tagen werde ich hier noch einen abschließenden Artikel mit ein paar Statistiken veröffentlichen und auch berichten, wie sich das Fahrrad selbst über diese Strecke geschlagen hat und welcher Verschleiß dabei auftrat.
Über das Radfahren auf diesem Abschnitt
Frankreich (in Anlehnung an die EuroVelo 3): Bordeaux und Paris werden durch die EuroVelo 3 verbunden, welche dabei aber kreuz und quer durch das halbe Land verläuft. Ich bin daher einer erheblich direkteren Route gefolgt, welche viele Kilometer gespart hat. Von Bordeaux aus erreichte ich Paris über Angoulême, Châtellerault, Château-Renault, Vendôme, Châteaudun und Chartres. Belgien erreichte ich von Paris aus über Gisors, Berck, Calais und Dünkirchen. Rund um Bordeaux und Paris gibt es im Land der Tour de France ausgezeichnete Radinfrastruktur, welche in den ländlichen Regionen Frankreichs aber fast vollständig fehlt. Ab und zu radlete ich auf Landstraßen, die angesichts des dichten Verkehrs unangenehm eng waren. Die meisten Straßen entlang meiner Route waren aber erheblich ruhiger. Das Terrain ist auch im Nordwesten Frankreichs sehr hügelig. Im Schnitt kamen weit über 1.000 Höhenmeter auf 100 Kilometern zusammen, obwohl die Höhe der Hügel 200 Meter kaum überschritt. Das FInden von Orten zum Zelten war in Frankreich dank der häufigen, kleinen Wälder erheblich einfacher als in Spanien. Zum Abschluss meiner Fahrt durch Frankreich erreichte ich mit der EuroVelo 4 an der Küste des Ärmelkanals wieder ein paar gut zu fahrende Radwege. Das Finden von Gelegenheiten zum Zelten ist an der Küste erheblich schwieriger als im Landesinneren.
Belgien und die Niederlande: In wohl keinen anderen Ländern der Welt dürfte das Planen einer Radreise so einfach sein wie in Belgien und den Niederlanden. Hervorragenden Fahrradwege sind fast überall vorhanden und zusammenhängend! In Flandern radelte ich von der Grenze bei De Panne über Nieuwpoort, Ostende und Brügge nach Antwerpen und dann in die Niederlände, wo ich über Utrecht Groningen erreichte. Das Terrain war brettflach, aber exponiert für Wind. Da ich aber in Richtung Nordosten unterwegs war, schoben mich die vorherrschenden Westwinde tendentiell an.
Norddeutschland: Auch Norddeutschland hat mittlerweile ein recht gutes Radwegenetz, wenn auch natürlich nicht so dicht und zusammenhängend wie in Belgien und den Niederlanden. Von der Grenze bei Papenburg folgte ich einer recht direkten Route nach Osten über Bremen, Soltau, Uelzen, Gartow, Wittenberge, Havelberg, Nauen und Potsdam bis nach Berlin. Die per Komoot geplante Route ließ sich immer gut und sicher fahren. Nur westlich von Paulinenaue in Brandenburg wurde ich noch über einige alte Sandwege geleitet.